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EINLEITUNG

In den Jahren 1944-45 verbrachte ich elf Monate als Zwangsarbeiter in einem Lager. Die letzten beiden Monate waren die schlimmsten. Wir errichteten Befestigungsanlagen für die deutsche Wehrmacht in der Nähe einer kleinen österreichischen Gemeinde: Sankt Anna am Aigen. Im Juni 2005 besuchte ich St. Anna am Aigen zum ersten Mal seit der Befreiung am 5. April 1945.

Ich verbrachte siebenundfünfzig kostbare Jahre mit Anna. In all dieser Zeit sprachen wir täglich über den Holocaust. Wir unterhielten uns über die üblen Dinge, die uns die Nazis angetan hatten. Unzählige Male erwähnten wir auch die Unterstützung, die wir von manchen Menschen während der Zeit des Holocausts erfahren hatten. Aber das erlittene Unrecht war in unseren Erinnerungen so überwältigend, dass wir die guten Taten kaum sehen konnten. Die Untaten stellten die Wohltaten in den Schatten. Wir fanden einfach nicht die richtigen Worte, um das Unrecht auszudrücken. Unzählige Male erging sich Anna in Erinnerungen an eine kleine Episode und sprach von dem zusätzlichen Pullover, den ihr die SS-Lagerkommandantin, diese „brutale weibliche Bestie“, mit den Worten „du kleiner Engel“ gegeben hatte. Ich selbst erzählte oft und oft davon, dass mir die Menschen aus St. Anna am Aigen und aus den benachbarten Dörfern Lebensmittel geschenkt hatten. Lebensmittel, die mir das Leben retteten. Ich wiederholte die Geschichte immer wieder, ohne gewahr zu werden, dass diese Menschen ein Dankeschön verdienten.

Als ich in „WE COULDN’T CRY“ die Geschichte unseres Überlebens beschrieb, fügte ich in das Kapitel „ANGUISHED FACES“ die beiden folgenden Sätze ein:

„Sankt Anna am Aigen, ein kleines Dorf. Wurde mein Leben dort gerettet, um Annas Lebenspartner zu werden?“

Die zwei kurzen Sätze auf dem Bildschirm starrten mich an. Die schwarzen Buchstaben vor dem weißen Hintergrund machten mir klar, dass es Zeit war, meinen Dank und meine Anerkennung auszudrücken.




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