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ERSTER STOPP

Das alte Schulhaus ist ein wichtiges Gebäude, da Apu während seiner Zeit in St. Anna vermutlich dort untergebracht war. Apu erinnert sich, dass ihm gesagt wurde, das Lager sei zugleich das Schulgebäude. Auch die Dorfbewohner wissen, dass das Schulhaus von den Deutschen beschlagnahmt und als Unterkunft für Zwangsarbeiter verwendet wurde. Das sind Tatsachen. Nach unserer Ankunft dort sehen wir uns um. Anfangs akzeptiert mein Vater, dass dies der Ort seiner Gefangenschaft war. Aber dann tauchen Unstimmigkeiten auf, manche Aspekte des Gebäudes und der umgebenden Landschaft stimmen nicht mit seinen Erinnerungen überein. Aber in 60 Jahren kann sich natürlich viel verändern.



Dann bringt man uns zum Haus der Familie Schäfmann. Dort werden wir die nächste Woche über wohnen. In St. Anna gibt es nämlich keine Hotels, dafür aber eine Reihe von „Pensionen“. Darunter sind Privathäuser zu verstehen, die ein Gästezimmer vermieten. Eine Tafel außerhalb des Schäfmann-Hauses verkündet: Zimmer. Wie man uns sagt, bedeutet dies, dass hier Zimmer vermietet werden. Die Familie Schäfmann hat einen Raum im Obergeschoss mit einem eigenen Bad ausgestattet. Das Ganze wirkt ziemlich gemütlich. Kurze Zeit später lernen wir Bürgermeister Josef Weinhandl sowie seine Frau Elisabeth und seine zwölfjährige Tochter Stefanie kennen. Wir sitzen am Küchentisch und unterhalten uns, wobei Elisabeth Schober die Dolmetscherin ist. Wie sich herausstellt, spricht auch Frau Weinhandl ziemlich gut Englisch, was sich später als äußerst nützlich erweisen wird.

Man serviert Wein, der in der Gegend produziert wird. Es handelt sich um den „Hauswein“ der Schäfmanns, den die Familie im eigenen Weingarten anbaut. Es ist ein Riesling, den Apu (der sich mit Wein ein bisschen auskennt) als ziemlich gut bezeichnet. St. Anna liegt in einer landwirtschaftlichen Region, wo Weintrauben mittlerweile zu den wichtigsten landwirtschaftlichen Produkten zählen. Die Weine, die in der Region erzeugt werden, bilden einen wesentlichen Teil der lokalen Wirtschaft. Man findet mehrere Weingärten mit angeschlossener Buschenschank, wo Wein verkostet werden kann. Weinverkostungen sind auch in einem Geschäft im Ortszentrum möglich, in der so genannten Vinothek, wo Weine aus der ganzen Steiermark erhältlich sind. Man erklärt uns, dass am Wochenende eigens zu diesem Zweck Touristen anreisen. Sie sitzen in der Vinothek, essen eine Kleinigkeit und verkosten Weine aus der Region und darüber hinaus. Und tatsächlich sollten wir viele dieser Besucher sehen, die Kisten voller Wein nach Hause mitnahmen.



Der Bürgermeister erzählt uns, dass wir Ehrengäste der Marktgemeinde sind und dass man die Kosten für unsere Unterkunft tragen wird. Wie sich herausstellen wird, kommen die freundlichen Menschen in St. Anna, die kein Geld von uns nehmen wollen, auch für die meisten unserer Mahlzeiten auf.


Das Abendessen findet im nahe gelegenen Gasthaus Wolf statt, in einer der beiden Gaststätten, die geöffnet haben. Beide stellen eine Mischung aus Esslokal und Kneipe dar, ihre Speisekarten unterscheiden sich kaum. Gebratenes oder gegrilltes Fleisch, Erdäpfel, Gemüse, Salat. Österreich ist für sein Wiener Schnitzel berühmt und Schnitzel spielen auch auf der Speisekarte eine wichtige Rolle.

Nach dem Abendessen, vor Einbrechen der Dunkelheit, unternehmen Apu und ich einen ruhigen Spaziergang. Die Straßen liegen vollkommen verlassen da. Es scheint, als würden sich hier nach 18 Uhr Fuchs und Hase gute Nacht sagen.

 




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