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PARALLELEN

In den Jahren 1944-45 erhielt Maria Lackner, zusammen mit anderen Bewohnern der Gegend, den Befehl, die Nazis und ihren Krieg mit ihrer Arbeitskraft zu unterstützen. Manchmal musste sie Panzergräben ausheben, manchmal in der Küche arbeiten. Für keine dieser Tätigkeiten wurde sie bezahlt. Während ihrer Arbeit in der Küche bemerkte sie, dass auf Befehl der Nazis zugeteilte Lebensmittel weggeworfen wurden, anstatt sie den Juden zu überlassen oder sie den Einheimischen zu geben, die selbst kaum etwas zu essen hatten. Sie und die lokale Bevölkerung sahen darin einen Akt der Entmenschlichung.

Siebenundfünfzig Jahre lang diskutierten Anna und ich tagtäglich über die Schrecken des Holocaust und über unsere persönlichen Erfahrungen in dieser Zeit. Etwa zur selben Zeit sprachen auch Maria und Josef Lackner Tag für Tag über das Leid, das Josef Lackner in den drei Jahren erfahren hatte, die er als Kriegsgefangener in russischen Lagern verbringen musste. Alle drei wurden wir aus unseren Gefängnissen befreit. Anna und ich erhoben uns wie der sprichwörtliche Phönix aus der Asche. Wir beschlossen, als Ehepaar gemeinsam durchs Leben zu gehen, und machten uns daran, eine eigene Familie zu gründen und so unser Leben neu aufzubauen. Auch Maria und Josef Lackner sollten heiraten und eine eigene Familie gründen.

Ich sprach immer wieder davon, dass mir eine junge Frau lebensrettende Nahrungsmittel zugesteckt hatte. Maria Lackner wiederum erzählte oft, dass sie den Juden Essen geschenkt und dennoch nicht genug getan hatte. Sie trug diesen Gedanken wie eine schwere Last mit sich herum. Beide sprachen wir von derselben Geschichte. Ich gehörte zu den Juden, die Maria Lackner beschenkt hatte. Für sie war ich jemand, dem sie, so dachte sie, nicht ausreichend zu essen gegeben hatte. Sechzig Jahre später sollte ein weiterer Akteur auf der Bühne - der Bühne des Lebens - erscheinen: Elisabeth Weinhandl. Elisabeth ermöglichte das Treffen zwischen Maria Lackner und mir. Damit half sie, die Last von Marias Schultern zu nehmen. Und sie schenkte mir emotionale Befreiung und unterstützte mich in meinem Bemühen, mich wieder "ganz als Mensch zu fühlen". Durch Elisabeths Wirken fand auch Maria ihre "volle Menschlichkeit" wieder und konnte ein glücklicheres Leben führen. Und sie gab mir einen weiteren Grund, mein Leben fortzusetzen.




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