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VORWORT SCHOBER

Auf Grund der katastrophalen militärischen Lage Hitler-Deutschlands wurden ab Sommer 1944 Vorbereitungen zur Verteidigung der damaligen deutschen Reichsgrenze getroffen. In die „Reichsschutzstellung“ oder „Südostwall“ genannte Verteidigungslinie (mit deren Bau Mitte Oktober 1944 begonnen wurde) wurde auch der südoststeirische Grenzraum an der Kutschenitza einbezogen. Hier umfasste der Stellungsbauabschnitt V (Abschnittsleiter war der NSDAP-Kreisleiter von Feldbach) die beiden Kreise Mureck und Feldbach, also das Gebiet von Radkersburg bis Mogersdorf (damals gehörte der burgenländische Bezirk Jennersdorf zum Kreis Feldbach). Im südlichen Teil dieses Stellungsbauabschnittes lag der Unterabschnitt V/3-St. Anna am Aigen.

Die geplante Stellungslinie wurde mit primitivsten Mitteln zumeist händisch errichtet. Zu diesen Stellungsbauarbeiten wurden neben zwangsverpflichteten Zivilisten, Angehörigen der NS-Formationen (SA, HJ etc.), Volkssturm, Kriegsgefangenen und Fremdarbeitern auch gefangene ungarische Juden (denen 1944 die Deportation nach Auschwitz erspart geblieben war) herangezogen.

Bedingt durch das rasche Vorrücken der Sowjets wurden die Stellungsbauarbeiten aber schließlich bereits Ende März 1945 noch vor der endgültigen Fertigstellung abgebrochen. In den folgenden Apriltagen sollten sich dann die unter dem Einsatz tausender Arbeitskräfte ausgebauten Stellungen militärisch aber großteils als nutzlos erweisen.

Die im Stellungsbauunterabschnitt V/3-St. Anna am Aigen ab Jänner 1945 eingesetzten ca. 400 ungarischen Juden waren zum Großteil unter oft menschenunwürdigen Zuständen mitten im Pfarrort St. Anna am Aigen einquartiert. Sie waren in der damaligen Volksschule (heute Schuhhaus Rindler), im Vereinshaus (Theatersaal, Pfarrheim) und auch in einem heute nicht mehr bestehenden Gebäude neben dem Kaufhaus Lippe untergebracht. Als Quartier für die ungarischen Juden dienten auch ein Barackenlager in der „Höll“ zwischen Deutsch Haseldorf und Aigen (nahe Kramarovci) und zeitweise auch ein Zeltlager.

Der Leiter des Stellungsbauunterabschnittes V/3-St. Anna war Oberlehrer  Johann Müller, der NSDAP-Ortsgruppenleiter von Mettersdorf. Er gehörte neben Dr. Hans Gerscha, dem NSDAP-Ortsgruppenleiter von St. Anna am Aigen zu den politischen Leitern, die auch für den Einsatz der ungarischen Juden im Raum St. Anna am Aigen verantwortlich waren. Die jüdischen Zwangsarbeiter wurden von SA, Ukrainern und vorübergehend auch von Angehörigen des 2. SS-Baubataillons „Kama“ (kroatische Waffen-SS) bewacht. Die Behandlung durch die Bewacher war oft sehr roh, es gab häufig Schläge.

Die jüdischen Zwangsarbeiter bestanden auch in St. Anna am Aigen zum Teil aus Arbeitsdienstlern der ungarischen Armee. Daneben war hier aber auch eine große Anzahl von Juden im Einsatz, die bereits seit Sommer 1944 im Gau Groß-Wien als Zwangsarbeiter eingesetzt waren. Unter ihnen waren auch einige Frauen.

Die Juden wurden vor allem beim Bau des Panzergrabens von den Aigner Feldern bis zur Höllwiese nahe der Grenze zum heutigen Slowenien eingesetzt, wo sie häufig unter unmenschlichen Bedingungen arbeiten mussten. In monatelanger Arbeit wurde von den jüdischen Zwangsarbeitern ein fast zwei Kilometer langer, 4,5 m breiter und 5 m tiefer Panzergraben gegraben (er war aber bei den Endkämpfen 1945 militärisch bedeutungslos und wurde schließlich im November 1947 von einem Bagger wieder zugeschüttet).

Die Verpflegung der Juden war sehr mangelhaft. Von der Zivilbevölkerung erhielten jüdische Zwangsarbeiter manchmal heimlich Lebensmittel, was das Überleben erleichterte. Diese Hilfestellungen reflektierten einerseits die mutige Menschlichkeit der lokalen Bevölkerung, andererseits jedoch auch die ungewöhnlich große Bewegungsfreiheit, die den jüdischen Stellungsbauarbeitern gewährt wurde. Der Abschnittsleiter des Stellungsbauabschnittes V-Feldbach kam Mitte März 1945 nach St. Anna am Aigen, weil ihm angezeigt worden war, dass die jüdischen Zwangsarbeiter häufig in den umliegenden Ortschaften Lebensmittel hamstern gingen. Er stellte die für die Bewachung Verantwortlichen zur Rede und ließ die Juden in St. Anna am Aigen antreten. Da einige fehlten, wurde sofort nach ihnen gesucht. Die aufgegriffenen Juden brachte man in den Gemeindearrest, wo sie von den Wächtern schwer misshandelt wurden.

Im Lager in St. Anna am Aigen waren die hygienischen Bedingungen katastrophal, wegen mangelnder Waschmöglichkeiten waren die Arbeiter bald stark verlaust. Ein Teil der Juden kam dann in ein Zeltlager nahe der Panzergraben-Baustelle. Dort wurden sie auch entlaust. Trotzdem brach bald auch im Bereich St. Anna am Aigen unter den Juden infolge der unzureichenden hygienischen Bedingungen Flecktyphus aus. Die Typhusepidemie drohte sich auszuweiten. Die unheilbar Kranken wurden schließlich vermutlich auf Befehl der NSDAP-Gauleitung von ihren Bewachern erschossen. Eines Tages (angeblich am 13. Februar 1945) wurden 41 kranke Männer mit einem Lastwagen in einen Wald bei Deutsch Haseldorf gebracht, dort erschossen und in einem Massengrab beerdigt. Die Erschießungen wurden von einem SS-Kommando aus Feldbach durchgeführt, der Unterabschnittsleiter und der NSDAP-Ortsgruppenleiter von St. Anna am Aigen mussten Straßenabsperrdienste leisten.

Einige Tage vor dem Abbruch der Stellungsbauarbeiten Ende März 1945 flüchteten sieben Juden aus dem Lager, als Vergeltung dafür wurden zehn andere Zwangsarbeiter erschossen und offenbar ebenfalls im Massengrab bei Deutsch Haseldorf begraben (dieses wurde 1948 geöffnet und die sterblichen Überreste von 48 ungarischen Juden wurden auf den jüdischen Friedhof in Trautmannsdorf bei Bad Gleichenberg überführt – sechs weitere während der Stellungsbauarbeiten verstorbene und vorerst am Friedhof von St. Anna am Aigen begrabene ungarische Juden wurden noch 1950 nach Trautmannsdorf gebracht).

Einige der aus dem Großraum Wien nach St. Anna am Aigen herangeführten Juden wurden noch vor Ende der Stellungsbauarbeiten nach Wien zurückgeschickt. Die anderen mussten bis zum Abbruch des Stellungsbaus in St. Anna am Aigen weiterarbeiten und wurden Ende März 1945 gemeinsam mit den jüdischen Arbeitsdienstlern vorerst bis Gnas getrieben, von wo der Todesmarsch über Gleisdorf, Graz, Präbichl (wo viele Zeugen des berüchtigten Massakers wurden) weiter nach Mauthausen ging.

Im Barackenlager bei Aigen (nahe Kramarovci) wurde eine größere Zahl von schwer kranken Juden zurückgelassen. Am 4. April 1945 kam noch ein kranker Jude aus diesem Lager in den nahe gelegenen Ort Deutsch Haseldorf, um für seine Kameraden im Lager Lebensmittel zu holen. Bereits am nächsten Tag hatten die russischen Soldaten das Barackenlager in der „Höll“ erreicht, die ungarischen Juden waren befreit, und die wenigen noch Marschfähigen unter ihnen begaben sich zu Fuß auf den Weg nach Ungarn. Zurück blieben im Barackenlager die Toten und Sterbenden.

Der aus der ungarischen Stadt Rákospalota (heute ein Teil von Budapest) stammende Sandor Vandor (geb. 1925) musste bereits im Mai 1944 zu einem jüdischen Arbeitsbataillon der ungarischen Armee einrücken und war in den ersten Monaten des Jahres 1945 als Zwangsarbeiter ebenfalls beim Stellungsbau in St. Anna am Aigen eingesetzt. In diesem Buch beschreibt der Augenzeuge Sandor Vandor eindringlich seine Erinnerungen an diesen Einsatz und seinen Überlebenskampf.

            Franz Josef Schober.




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